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Na schön, es ist kalt. Es kann sogar noch hin und wieder Nachtfrost geben. Aber das sind alles keine Gründe, länger unter der Erdoberfläche geduldig abzuwarten, bis Madam Sonne endlich bereit ist, dieselbe zu erwärmen. Findet zumindest ein Top-Frühlingskraut, der Ehrenpreis. Und streckt Blätter und sein bisschen Stiel übermütig in Richtung Licht. Tapfer, oder?
Von Insektenfutter und treuen Männern
Als früh blühendes Kräutlein leistet der Ehrenpreis seinen Anteil am gedeckten Tisch für die ersten Insekten. Die zarten blauen, seltener weißen, Blütenblätter fallen bei Berührung gerne mal vor Schreck vom Stiel. Der Volksmund erfand daher die Bezeichnung „Männertreu“ für das Pflänzlein. Man ging offensichtlich davon aus, dass Männer von irgendetwas abfallen, wenn sie treu sein sollen. Wovon eigentlich? Naja, Volksmund … für wen das alles am wenigsten schmeichelhaft ist, ob für die Männer, das Kraut oder die ganze Idee von Treue, sei mal dahingestellt. Jedenfalls heißt es so.
Außerdem nennt man den Ehrenpreis auch noch Veronica. Die Bezeichnung ist ihm von Christ:innen aufgedrückt worden. Sie erzählen sich, eine Frau namens Veronica habe dem leidenden Jesus ein Tuch gereicht, mit dem er seine Schmerzen beim Tragen des Kreuzes lindern konnte. Veronica wurde deshalb heiliggesprochen. Das ist eine tolle Ehrung, aber wie ihr Name dann bei dem Kraut gelandet ist und wie man im Volk anschließend den Bogen von ihr über das Tuch bis zum Männertreu gespannt hat, ist uns nicht bekannt, aber sollte jemand etwas darüber wissen, meldet euch gern.
Und dann gibt es wieder andere Leute, die weder Männertreu noch Veronica sagen, sondern auf das unschuldige Pflänzchen zeigen und rufen „Ach, ein Gewitterblümchen!“
Sie gehen davon aus, dass man entweder Regen und Gewitter braucht und dann so ein Pflänzchen pflücken sollte oder aber keineswegs Regen und Gewitter zulassen möchte und das Blümchen ungeschoren stehenlassen muss, denn sonst kracht und knallt es, gefolgt von handfestem Regen.
Ob nun Männertreu, Veronica oder Gewitterblümchen – gemeint ist eine der mehr als 250 verschiedenen Arten des Ehrenpreis´.
Die Menschen und der Ehrenpreis
Bei uns Menschen ist das frische Grün ziemlich begehrt. Man hat sich inzwischen von der Überzeugung unserer Vorfahren gelöst, das Kraut verfüge über geradezu magische Heilkräfte. Dabei feierte es im Mittelalter große Erfolge und wurde als „allerweltsheil“ gehypt und gegen so ziemlich alles eingesetzt. Im Englischen nannte man es „Speedwell“ – heißt so viel wie „im Rekordtempo gesund werden“. Doch leider hat sich im Laufe der Zeit herausgestellt, dass hier der Wunsch der Vater des Gedanken war und unser Ehrenpreis eher nicht als besonders begabter Heiler geeignet ist. Genau genommen konnten die Kommissar:innen der Kommission E ihm keine einzige Wirkung nachweisen und haben ihn mit einer Null-Monographie abgespeist. Heißt so viel wie „Hilft nix, schadt´ nix“.
In der Ernährung allerdings sieht das ein bisschen anders aus. Denn frisches, wildes Grün auf unserem Teller, im Smoothie oder in der Suppe bringt immer frische Nährstoffe und Vitamine vom Feinsten – von wegen hilft nix!
Was tun, wenn er noch nicht blüht?
Auf unserer Frühlingsexkursion haben wir den Efeu-Ehrenpreis entdeckt. Da er seine Blüten noch verschämt zurückhielt, haben wir die Lupe gezückt und ihn auf andere Merkmale geprüft. Und was haben wir untersucht?
- Ist der Stängel rund?
- Liegt der Stängel nah am Boden?
- Ist der Stängel direkt an der Basis verzweigt?
- Ist der Stängel im oberen Teil locker behaart?
- Sind die Blätter breit und oval?
- Sind die Blätter breiter als lang?
- Sind die Blätter gekerbt?
- Sind die Blätter gestielt?
Und natürlich – passt der Standort? Da der Ehrenpreis ein recht anspruchsloser Geselle ist, kann das nur ein zusätzlicher Punkt sein, aber ja, es war ein nährstoffreicher Standort am Waldrand. (Hätte auch eine Brachfläche, ein Acker, ein Garten etc. sein können, wie gesagt, Ehrenpreis ist nicht so wählerisch.)
Wer aber noch ganz frisch ist beim Bestimmen von Pflanzen, die sie/er essen möchte, ist gut beraten, eine Vegetationsperiode aufmerksam zu verfolgen, wer da in der Nähe wächst. Denn am sichersten gelingt die Bestimmung eben doch über die Blüte.
Machen wir weiter mit ein paar Fakten. Üblicherweise wird Ehrenpreis von Schwebfliegen bestäubt. Wenn die aber zu viel Schiss vor der Kälte haben und vorsichtshalber irgendwo im Warmen abhängen oder einfach so woanders Party machen, übernimmt er den Job allein – macht vielleicht nicht so viel Spaß, aber zielführend ist es auch. Immerhin bringt jede Pflanze so ungefähr 100 Samen hervor, die bis zu 50 Jahren keimfähig bleiben. Fünfzig Jahre!
Überhaupt ist unser Held ziemlich clever. Die Samen wickelt er in eine herrlich süße Hülle und verführt damit die Ameisen aus der Nachbarschaft, sie in den Bau zu schleppen, den nährenden Naschkram an ihre Mitbewohner:innen zu verteilen und das für sie nicht verwendbare Innere auf den Biomüll zu werfen. Ameisen sind bekanntlich reinliche Tiere. Entsprechend tragen sie konsequent alle abgeschleckten Samen hinaus in den Wald und sorgen so für die Ausbreitung des Ehrenpreis`.
Wer nun also das Kraut sicher bestimmt hat, darf sich damit ein herrlich frisches Frühlingsgericht zubereiten. Die Blüten, wenn sie denn erscheinen, sind übrigens eine wunderschöne Dekoration in der Wildkräuterküche. Leuchten sie doch so blau wie der Himmel an einem sonnigen Maitag in Mecklenburg.
Chritine Ilić
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